Von Sigrid Lehmann-Wacker:
Im Frühjahr meldete sie sich bei ihrem Vorgesetzten krank und kündigte an, gegen Ende des Jahres im Rahmen einer Wiedereingliederung zurückzukehren. In Sommer musste Schneider feststellen, dass ihre Stelle in der lokalen Tageszeitung, der Neuen Osnabrücker Zeitung, ausgeschrieben war – nicht als Krankheitsvertretung, sondern als Dauerstelle. Sie ließ sich vom Betriebsrat beschwichtigen, dass man diese Stelle nur als unbefristet ausgeschrieben hätte, weil sich sonst niemand darauf bewerben würde. Jedoch stimmte dieser im Herbst der unbefristeten Einstellung einer neuen Chefarztsekretärin zu. Im September erfolgte dann der Anruf vom Chef, sie solle ihre Schlüssel abgeben. Ulrike Schneider war der Meinung, dass man auch Duplikate hätte anfertigen können. Als sie wegen dieser Angelegenheit an ihren Arbeitsplatz kam, waren dort alle ihre persönlichen Gegenstände entfernt worden, ohne vorherige Absprachen.Man sieht der gutgekleideten dunkelhaarigen Frau nicht an, dass sie schon 56 Jahre alt ist. Man würde erst recht nicht auf die Idee kommen, dass sie eine todkranke Frau ist: Der Schilddrüsenkrebs von Ulrike Schneider ist schon so weit fortgeschritten, dass die Therapie nur schmerzlindernd wirkt. Die engagierte, in der Urologie im Klinikum Osnabrück tätige Chefsekretärin erhielt 2015 die Diagnose, dass der Krebs schon streuen würde.
Im November 2016 begann dann ihre Wiedereingliederung, in deren Verlauf sie stufenweise wieder an ihr altes Arbeitspensum zurückgeführt werden sollte. Inzwischen arbeitete die »neue« Chefarztsekretärin im Vorzimmer. Schneider wurde angewiesen, das ehemalige Untersuchungszimmer der Abteilung, welches dunkel, winzig klein und mit einer Liege ausgestattet war, zu beziehen. Die offizielle Begründung für die »Beförderung«: Wenn es ihr mal schlecht gehen sollte, könne sie sich auf die Liege legen. Schneider hatte nie um so etwas gebeten. Das Schlimmste an diesem neuen Raum war, dass sie von hier überhaupt keinen Kontakt mehr zu Patienten und Kollegen hatte, sie saß dort völlig isoliert. Ihre nahezu einzige Aufgabe bestand dort darin, Akten zu kopieren. Eine Aufgabe, die mit dem Tätigkeitsbereich einer Chefarztsekretärin nicht mehr viel zu tun hatte. Ihr Arbeitszimmer wird von Mitarbeitern bezeichnenderweise auch als »Sterbezimmer« bezeichnet. Sie fing früh an, sich gegen diese Demütigungen zu wehren, inzwischen liegt eine Klage beim Arbeitsgericht Osnabrück vor. Ihre Anwältin Simone Sieve-Singer bemerkt: »Die Geschäftsleitung ist nach der ganzen Korrespondenz und vier Gesprächen vollständig informiert, hilft aber gar nicht. Dabei wurde zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat extra eine Betriebsvereinbarung, was den Umgang mit Mobbing betrifft, geschlossen.«
Schneider ist seit fast 25 Jahren im Klinikum beschäftigt und hat großen Rückhalt bei ihren Kollegen. Diese empfinden das Geschehene mehrheitlich als skandalös, die wenigsten würden sich aber offen vor sie stellen. Sieve-Singer als Rechtsanwältin für Arbeitsrecht weiß: »Hier greift das Prinzip: Wegsehen, bevor man selbst ins Visier gerät.« Betroffenen rät sie, in einem sogenannten Mobbingtagebuch alles zu dokumentieren, was als Diskriminierung empfunden wird. Denn erst viele Einzelhandlungen würden sich zum Ganzen zusammenfügen. Sie bedauert allerdings: »Leider wird Mobbing von den Betroffenen fast immer erst zu spät erkannt.« Ihre Mandantin sitzt mittlerweile wieder an ihrem Schreibtisch. Ein erster Teilerfolg für Schneider? Der Chefarzt hält die Tür zum Chefzimmersekretariat für sie nun immer verschlossen und kommuniziert überhaupt nicht mehr mit ihr.
Die Klinikleitung weist die Vorwürfe zurück, möchte sich aber nicht zu Details äußern. Der Chef des Krankenhauses, Martin Eversmeyer, ließ lediglich über die Pressestelle verlautbaren: »Wir bemühen uns ständig, die Situation für Frau Schneider zu verbessern.« Schneiders Anwältin erklärt hingegen: »Meine Mandantin kommt morgens zur Arbeit und muss dann die ganze Zeit untätig absitzen. Sie ist eine starke Persönlichkeit, leidet aber schon unter diesen Umständen.«
Schneider will sich aber nicht in die Arbeitsunfähigkeit drängen lassen, sie ist finanziell auf ihren Job angewiesen. Sie lehnte das jüngste Angebot der Geschäftsleitung, noch einmal einen internen Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen, ab. Diese neue Stelle wäre mit deutlich schlechteren Bedingungen verbunden und würde eine komplett neue Einarbeitung voraussetzen. Sieve-Singer beurteilt diesen Vorschlag auch noch auf einer übergeordneten Ebene: »Das ist von der Außenwirkung doch das ganz falsche Signal! Man sollte eher den Chefarzt entfernen. Da ist jemand, der jahrelang gute Arbeit geleistet hat, länger krank und wird von seinem Chef, auch noch einem Arzt, anschließend noch schikaniert.«
Sie will mit ihrer Mandantin die Klage erweitern, hat auch schon Schmerzensgeld eingeklagt. Sieve-Singer weiß: »Diese Art des Verfahrens taucht im Zusammenhang mit dem Klinikum nicht zum ersten Mal auf.«
Mobbing vom Boss
Chefarztsekretärin in Osnabrück soll nach schwerer Erkrankung nur noch Praktikantentätigkeiten ausüben. Betroffene hat Klage eingereicht
am 27.11. in der überregionalen Berliner Tageszeitung "junge Welt" erschienen